Erinnerungen einer Großstädterin

Unser Lachen erfüllt die Luft und unsere kleine Kinderaugen leuchten beim Anblick der vielen glänzenden Kastanien in unserem Kinderbollerwagen. Der Herbstwind weht uns durch die Haare und fährt uns am Nacken in die Jacken. Wir sind im Park. Mein kleiner Bruder, ich und unsere Eltern.

Text: Laura Trümper

Ich bin ein Stadtkind. Ein Großstadtkind. Eine waschechte Berlinerin. Der Unterschied zwischen einer Kindheit auf dem Land und der in einer Großstadt? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass ich nicht das Gefühl habe, irgendetwas verpasst zu haben.

Jeden Sonntag fuhren wir ins Grüne. Irgendwo raus nach Brandenburg, immer an einen neuen Ort. Zum Spielen, Schwimmen, Spazieren, Kastaniensammeln. Einen Tag in der Woche war Familientag, auch wenn ich ihn mit steigendem Alter immer anstrengender fand.
Ob es von dem Bezirk abhängt, in dem man in Berlin aufwächst? Mag sein. Ich bin im ruhigen, kleinen, fast schon familiären Friedenau aufgewachsen.
Den Edeka bei uns an der Ecke gibt es seit ich denken kann. Hier habe ich schon als kleines Mädchen mit verklebten Händen und großen Augen Käse und Wurstscheiben probieren dürfen. Die Angestellten haben mir beim Großwerden zuschauen können. Wie alt der Mann beim Obststand wirklich ist, weiß ich bis heute nicht. Aber wenn ich den kleinen Laden betrete, ihn dort stehen stehe, seine Bananen, die reifen Avocados und saftigen Mangos in der Hand, fühle ich mich Zuhause.

Mein Schulweg war zu Fuß ganze zehn Minuten lang. Mit den drei besten Freundinnen traf man sich stets an derselben Ecke, um den Weg gemeinsam zu beschreiten, sich über den Vorabend auszutauschen, den man meist ja doch zusammen verbracht hatte und gemeinsam Pläne für den vor uns liegenden Tag zu machen.

Ja, gespielt haben wir mehr im Wohnzimmer der besten Freundin statt im großen Garten hinter der Ecke. Eis gab es wann immer das Kinderherz sich danach gesehnt hat auf dem Marktplatz bei der Lieblingseisdiele und die kürzesten Strecken wurde ich noch bis in die Jugendjahre immer mit dem Auto gebracht. Meine Eltern hatten eben Angst um mich. Es könnte ja viel passieren in einer Großstadt.

Ich bin behütet, geliebt und mit viel Vorsicht aufgezogen worden. Meine Eltern sind nicht übervorsichtig, aber ganz haben sie es nie geschafft, ihre Seidenhandschuhe abzulegen, bis jetzt jedenfalls noch nicht.
Typische Spätis, die es an allen Ecken gibt, Clubs, die bis in die frühen Morgenstunden geöffnet haben und verruchte Kneipen an jeder Ecke habe auch ich erst mit 16 Jahren kennengelernt, als ich anfing wegzugehen. Bei uns in Friedenau, klappen die Bürgersteige um allerspätestens 2:00 nach oben. Danach wird es schwer, noch eine Menschenseele auf den leeren Bürgersteigen zu finden.
Und soll ich echt etwas verraten? Mit uns Berlinern ist es wie mit Menschen auf dem Dorf. Es zieht uns immer wieder dahin, wo wir geboren wurden. Nur, dass es bei uns unsere Bezirke sind. Ja, für uns macht es einen riesigen Unterschied, ob Neukölln, Spandau oder eben doch Schöneberg.

Und so wird meine Heimat stets mein Bezirk in Berlin sein. Der Bezirk, in dem ich jeden Ladenwechsel mitbekommen habe und noch genau weiß, wer vor Jahren stattdessen dort sein Glück versuche. Der Bezirk, in dem ich mit zugebunden Augen meinen Schulweg nachgehen kann, an der Eisdiele ein Eis kaufe, an welcher ich schon mit fünf Jahren stand und der Obsthändler statt dem kleinen Mädchen nun einer jungen Frau die Orangen und Mangos in die Hand drückt.
Auch, wenn ganz Berlin zu mir gehört und immer ein Teil von mir war, ist und sein wird.

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